Geschickt hüpft Nick Delany über die orange gesprenkelten und grau-golden getigerten Granitfelsen. Unter ihm rollen Wellen heran, spritzt Gischt empor. Über ihm kreisen drei Seeadler. Ein wunderbares Schauspiel für seine entzückten Gäste aus Übersee, Alltag für den Wanderguide.
Delany, 30, hat grüne Augen, dunkle Locken quellen unter seiner Kappe hervor. Die dünnen Arme und Beine lassen kaum erahnen, was für ein ambitionierter Kletterer und Abenteurer er ist.
Ohne Seil erklomm er den Federation Peak, eine von Stürmen umtoste Felsnadel im Urwald, den berüchtigtsten Gipfel Tasmaniens. Den wilden Franklin River paddelte er zehn Tage lang zusammen mit Freunden hinab. Geschlafen wurde angeseilt auf Pritschen in der Felswand.
Man könnte meinen, Delany habe in elf Jahren als Guide für Wanderer alles gesehen. Aber nun johlt selbst er begeistert auf. Denn über dem Urwald segeln zwei Keilschwanzadler heran. «Die größten Raubvögel Australiens», ruft Delany ekstatisch über das Grollen der Brandung.
Mit mächtigem Flügelschlag attackieren die Tiere ihre kleineren Vettern. Ein kurzes Krallenhakeln, ein Seeadler trudelt, dann flattern er und seine Kollegen eilig davon.
Schon Shakespeare pries diesen Flecken Erde
Der Flugkampf ist das würdige Finale dieser Tour, die zu den Great Walks of Australia zählt. Vier Tage lang führt der Freycinet Experience Walk um die gleichnamige Halbinsel im Osten Tasmaniens. Man spaziert über weiße Strände, erklimmt rosafarbene Granithügel und folgt einem alten Pfad der Aborigines entlang der Steilküste.
«So muss die Erde ausgesehen haben, bevor Homo sapiens begann, sie zu missbrauchen», schrieb Shakespeare. Der britische Schriftsteller kaufte sich hier nach seinem ersten Besuch ein Haus und blieb. Mit jedem Tag versteht man ihn besser.
Unter all den Juwelen Tasmaniens funkelt Freycinet am bezauberndsten. Schon 1916 wurde die Halbinsel als Nationalpark geschützt. Berühmt machte sie die Wineglass Bay, die mehrmals zu einem der zehn schönsten Strände der Welt gewählt wurde.
Aufstieg für ein Bildbuch-Panorama
Warum das so ist, sieht man am besten von der Aussichtsplattform hoch über der Bucht. Als Nick Delany als Kind zum ersten Mal zu ihr hinauf stieg, war der Pfad felsig. Nun schlängelt sich ein bequemer Kiesweg zwischen Granitfelsen, Eukalypten, Kasuarinen und Teebäumen hinauf.
Trotzdem trägt Delany Gamaschen zur kurzen Hose. «Es gibt drei Arten von Schlangen auf Tasmanien», erklärt er. «Und alle sind giftig.» Wo sie sich bevorzugt aufhalten? «Überall. Aber sie haben ein gutes Temperament. Sie tun alles, um dir aus dem Weg zu gehen.»
Gefährlicher seien die Jack Jumper Ants. Diese Ameisen stechen wie Wespen. Wer gegen ihr Gift allergisch ist, kann ersticken.
An diesem Tag sind zum Glück weder Schlangen noch springende Ameisen zu sehen. Auch erfreulich wenige Mitwanderer, sodass das tausendfach fotografierte Panorama auf der Plattform unverstellt ist.
Eine weiße Sandsichel umfasst die türkise Bucht. Auf den Hügeln ringsum ragen rund gewaschene, gespaltene Felsen aus dem dichten Busch. Ihren Namen verdanke die Bucht allerdings nicht dieser Form, erklärt Delany. Sondern ihrer finsteren Geschichte.
Bis Mitte der 1840er Jahre stand an diesem Ort eine Walfangstation. In wenigen Jahrzehnten jagten ihre Schiffe die Südkaper, eine Art der Glattwale, fast bis zur Ausrottung. Das Blut der Wale färbte die Bucht rot, daher der Name Wineglass Bay.
Diese Insel ist etwas anders
Tasmanien ist ein raues Pflaster. Über seine Bewohner rümpften die Australier auf dem Festland lange die Nase: Hinterwäldler. Aber spätestens seit der Profi-Glücksspieler David Walsh für viele Millionen das sensationelle Museum of Old and New Art voll provokativer Kunst baute, ist die Insel en vogue. «Das MONA hat Tasmanien auf die Landkarte gesetzt», sagt Delany.
Reisende aus aller Welt kommen auf die Insel, um die spektakuläre, wilde Natur zu sehen, Austern zu essen und Wein zu trinken. Die Australier selbst schätzen die günstigen Hauspreise. Und Nick Delany weiß nicht recht, wie er das alles finden soll.
Der Guide fürchtet, dass die Wildnisgebiete Tasmaniens zu stark erschlossen werden könnten. «Ich liebe sie genau so, wie sie sind», sagt er. Tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren überall auf der Insel Wanderwege verbreitert und Hütten gebaut.
Die «Friendly Beaches Lodge» aber, das Basislager dieser Tour, versteckt sich schon seit knapp 30 Jahren im Wald hinter einem kilometerlangen Strand. Von außen sehen die hölzernen Bungalows schlicht aus. Es gibt kein Betonfundament und keine Isolierung, keinen Handyempfang und kein WLAN. Den Strom liefern Solarpaneele, Küche und Kühlschrank laufen mit Gas. Geheizt wird mit Holz. Duschen und Komposttoiletten teilen sich alle Gäste.
Was Reisende an diesen Ort verschlägt, wird als Barfußluxus beworben. Bei Austern und Sekt erzählen sich die Gäste abends am Kaminfeuer, was sie an diesem Tag erlebt haben. Dazu wieselt ein Possum über die Holzterrasse. Nachts hört man die Wellen unten am Strand brechen.
Erkundungen auf dem Kammweg
Nick Delany arbeitet gern hier. Für ihn ist die Wildnis des Nationalparks ein einziger großer Spielplatz. Am nächsten Morgen geht es zu einem dieser atemberaubend schönen Plätze, der Whitewater Wall. 70 Meter hoch sind die Klippen. Einen Monat zuvor kletterte Delany sie allein und ungesichert empor. Manchmal, erzählt er, sehe er hier beim Klettern Albatrosse, Robben und Wale. «Einer schwamm wenige Meter unter mir vorbei.»
In der Bluestone Bay gleich daneben beginnt der geheime Kammweg, den der Veranstalter der Freycinet Experience selbst instand hält. «Wir lassen die Gäste hier ausschwärmen, damit sie keinen erkennbaren Pfad ins Gras trampeln», erklärt Delany. Zuvor bürstet er sich mit Meerwasser die Stiefel. Der Grund für die Maßnahme: Er will keine Eipilze einschleppen, die Wurzelfäule auslösen.
Mäßig steil geht es einen Waldweg hinauf, der mit Kasuarinen-Nadeln gepolstert ist. Oben angekommen, wandert Delany durch lichten Wald einen Kamm entlang. «Wahrscheinlich ist das eine uralte Route der Oyster Bay Nation», sagt er. Die Aborigines zogen auf diesem Pfad im Herbst an die Küste, wo das Klima milder ist. «Ihre Frauen rieben sich mit Robbenöl ein und tauchten nach Austern, Muscheln und Krebsen. Wenn sie aus dem Meer kamen, wärmten sie sich inmitten eines Dreiecks aus Lagerfeuern auf.» Die Männer jagten derweil im Busch.
Botanische Exkurse
Entspannt führt der Pfad 200 Meter über dem Pazifik die Küste entlang. Immer wieder öffnet sich der Wald für grandiose Ausblicke auf die glitzernde See und die Klippen. Weiß blühende Korallenrauten duften würzig, Haubelieste flattern auf.
Am Wegesrand zeigt Delany endemische Oyster Bay Pines und eine seltene Orchidee, die nur auf Granitfelsen an der Ostküste Tasmaniens wächst. «Dieser zwei Meter hohe Grasbaum ist sicher 300 Jahre alt», erklärt er. Und die Bärlapppflanze, ein heute unscheinbares Kraut geringer Höhe, sei älter als die Dinosaurier.
Stundenlang schlendert man auf dem zauberhaften Küstenweg in luftiger Höhe dahin, bis eine Erdstraße zurück ins Flachland führt. Fad wird es deshalb nicht. Man spaziert entlang einer Lagune, auf der eine Armada schwarzer Schwäne dümpelt. Und tritt schließlich hinaus auf einen Strand, der im wahrsten Sinne des Wortes blendend weiß ist.
In den 1990er Jahren wollte eine Firma den fast reinen Quarz der Friendly Beaches abbaggern. Die Tasmanier protestierten wütend, worauf die Regierung den Nationalpark um den sieben Kilometer langen Strand erweiterte. Die weiße Prachtpromenade blieb intakt.
Das einzige, was heute hier angeschwemmt wird, sind Büschel von Seetang. Ansonsten nur Sand, soweit das Auge reicht, dichter Busch und der weite Pazifik. Dass die «Friendly Beaches Lodge» vom Strand nicht zu sehen ist, war eine Bedingung des Nationalparks.
Bis zum Basislager sind es noch ein paar Kilometer. Der tiefe Sand quietscht unter den Stiefeln, der Gegenwind bläst immer wieder die Kappe vom Kopf, die Schritte werden schwer. Selbst für Nick Delany. Doch ein schönerer Zieleinlauf ist kaum vorstellbar.
Info Tasmanien
Reisezeit: Die Wandersaison dauert von November bis April. Im Februar und März ist es in der Regel am wärmsten.
Einreise: Touristische Reisen nach Australien sind für Europäer derzeit nicht möglich. Wann genau die Grenzen für Reisende aus Deutschland wieder öffnen, ist noch nicht bekannt.
Anreise: Aus Europa fliegt man über Sydney oder Melbourne nach Hobart. Von dort werden Gäste der Freycinet Experience per Shuttlebus zur Lodge gefahren. Die Busse von Calow’s Coaches verbinden Hobart und Launceston und stoppen am Freycinet-Nationalpark.
Wandern: Der viertägige, geführte Freycinet Experience Walk ist inklusive Übernachtungen, Vollpension und Transfer zu buchen. Wer auf eigene Faust im Nationalpark wandern will, kann in zwei bis drei Tagen den 27 Kilometer langen Freycinet Peninsula Circuit gehen. Übernachtet wird dabei auf Zeltplätzen. Eine beliebte Tagestour führt in drei Stunden vom Parkplatz hinauf zum Wineglass Bay Lookout und hinab in die gleichnamige Bucht Wineglass Bay. Eine längere und anstrengendere Runde schließt dazu den Hazards Beach ein. Grandios ist auch der Ausblick vom Mount Amos. Die steile Wanderung zum Granitgipfel und zurück dauert rund drei Stunden.
Übernachtung: Die drei Campingplätze nahe dem Dorf Coles Bay sind über den Nationalpark zu buchen. Man muss dafür einen Parks Pass kaufen (Welcome to Parks Passes).
Informationen: Tourism Tasmania, Neue Mainzer Straße 22, 60311 Frankfurt (Tel.: 069/27 40 06 44, www.discovertasmania.com.au)