Durch einen dunklen Gang, der immer wieder von Lichtblitzen aufgehellt wird, geht es zu den Aufzügen. «Wow, das ist ja wie in einem Freizeitpark», kichert eine Gruppe junger Frauen. Musik ertönt. «Willkommen zum Eröffnungstag von “Summit“», ruft eine Frau und leitet die Gruppe zu einem gerade ankommenden Aufzug. Jubelnd, klatschend und mit ihren Handys fotografierend und filmend steigen die aus Florida angereisten Frauen ein, lassen sich in wenigen Sekunden auf rund 330 Meter Höhe fahren – und haben dann das Häusermeer der Stadt zu Füßen liegen. «Wow!»
«Summit One Vanderbilt» ist die neueste Attraktion der Metropole New York: Eine Aussichtsplattform hoch oben im Wolkenkratzer «One Vanderbilt», direkt neben dem Bahnhof Grand Central in Manhattan. Die am Donnerstag eröffnete Plattform bietet auf drei Stockwerken einen Panorama-Blick über die Metropole, Kunstinstallationen, Außenterrassen und einen gläsernen Aufzug. Wie für Instagram konzipiert fliegen silberne Bälle vor der Skyline, oder spiegeln sich Besucher und Häusermeer in alle Richtungen. Die Ticketpreise starten bei rund 40 Dollar (etwa 35 Euro), für den Besuch muss eine Impfung gegen das Coronavirus nachgewiesen werden.
Schon zur Eröffnung strömten hunderte Besucher in den Wolkenkratzer – die meisten davon New Yorker oder Touristen aus anderen Teilen der USA. Für Menschen aus vielen anderen Ländern der Welt, darunter auch Deutschland als Teil der EU, gilt in der Corona-Pandemie seit März 2020 ein weitreichender Einreisestopp. Ab dem 8. November darf nun aber wieder eingereist werden – und viele in der New Yorker Tourismus-Industrie, die unter dem Einreisestopp massiv gelitten hat, können es gar nicht mehr abwarten.
Die Stadt hat bereits mehrere spektakuläre Aussichtsplattformen: Auf dem Empire State Building, «One World Observatory» auf dem One World Trade Center und «Top of the Rock» auf dem Rockefeller Center. Wenige Tage vor dem Einreisestopp kam 2020 zudem «The Edge» im Stadtviertel Hudson Yards im Westen Manhattans dazu – und nun gilt die Eröffnung von «Summit One Vanderbilt» als Zeichen, dass New York endlich wieder bereit für Touristen aus aller Welt ist.
Vor der Pandemie war die Branche in New York auf Dauer-Rekordkurs. 2019 war mit 66,6 Millionen Besuchern im zehnten Jahr in Folge ein Rekord aufgestellt worden. 2020 waren nur rund 22,3 Millionen Menschen nach New York gereist, die meisten davon vor Beginn weitreichender Corona-Einschränkungen im Frühjahr. Für 2021 rechnet die New Yorker Tourismusbehörde NYC & Company mit immerhin 36,4 Millionen, die meisten aus den USA – und hofft vor allem, das traditionell beliebte Weihnachtsgeschäft noch retten zu können. Mit «It’s Time for New York City» (auf Deutsch etwa: Es ist Zeit für New York City») und «New York City Is Ready for You» (New York City ist bereit für dich) wirbt die Behörde in mehreren Ländern der Welt gerade im Rahmen einer millionenschweren Kampagne.
Hunderttausende Jobs hängen in New York an der Tourismus-Industrie – darunter auch der von Sanel Huskanovic. Der 39-Jährige, der in Bosnien geboren wurde und später als Kriegsflüchtling nach Deutschland kam, betrieb vor der Pandemie ein Reisebüro vor allem für deutschsprachige Touristen in der Nähe des Times Square. «Wir waren komplett auf den Markt aus Europa ausgerichtet und mit dem Reiseverbot gab es auf einmal nicht weniger Kunden, sondern gar keine Kunden.»
Huskanovic konnte sich die Miete für seine Wohnung nicht mehr leisten und schlief einen Großteil der vergangenen Monate bei Freunden auf dem Sofa. «Auf der einen Seite war es wirklich schlimm, weil alles, wofür ich sieben Jahre gearbeitet habe, innerhalb von nur wenigen Wochen zusammengebrochen ist. Auf der anderen Seite hatte es ja keiner leicht. Ich habe mir ein Fahrrad gekauft und bin viel geradelt, fast jeden Tag zum Strand. Man setzt neue Prioritäten und sieht, was im Leben wichtig ist.»
Mit dem Ende des Einreisestopps hofft Huskanovic nun darauf, sein Unternehmen wieder aufbauen zu können – mit Veränderungen. So wolle er zum Beispiel eine Tour durch alle fünf Stadtteile vorerst nicht mehr anbieten wegen der gestiegenen Kriminalitätsrate in New York. Für die Touren, die er wieder anbieten will, seien schon Buchungen eingegangen. «Ich bin natürlich sehr aufgeregt und freue mich riesig. Wir bekommen schon jede Menge Emails und Anfragen», sagt Huskanovic. «Die Menschen haben New York vermisst, diese Stadt die sie aus dem Fernsehen und den Filmen kennen. Es geht nicht um Shopping oder so, es geht um diese Stadt – da sieht man, welche Anziehungskraft die hat. Alle haben das vermisst und hoffen, hier wieder diese Energie zu finden.»